Scanno - Renaissance-Dorf in den Abruzzen

Gelegentlich geschieht es, daß ein Braunbär einige Schafe reißt, der Rest der Herde sich dann auf der Flucht befindet und die Schäfer darüber natürlich fluchen. Aber eigentlich ist Scanno der sicherste Ort der Welt, denn ein Heer von Schutzheiligen behütet die Bewohner. San Rocco schützt vor der Pest, San Biagio gegen Halskrankheiten, San Emidio vor Erdbeben, vor allen Unbilden dieser Welt bewahrt San Crispino - aber leider nur die Schuh- und Ledermacher -, während San Alfonso Maria de' Liguori der Heilige der Moralisten und der Bekenner ist, und das sind wir doch letztlich alle.

Wie ein jederzeit sprungbereites Ärzteteam, das gleich auf die Gasse eilen wird, um die Leiber und die Seelen aller Bedürftigen zu versorgen, steht hinter der weit geöffneten Tür der Kirche San Giovanni Battista eine ganze Armada von hölzernen Heiligen mit wehenden Mänteln, faltigen Gewändern, gezückten goldenen Hirtenstäben und hingebungsvollen Gesichtern zur Hilfe bereit. Und sie scheinen alle zusammen Scanno vor dem rabiaten Einfall des modernen Lebens zu bewahren. Es würde auch kaum gelingen. Denn was sollte es ausrichten in diesen steilen Gassen, deren Stufen für Autos so denkbar ungeeignet sind?


Alt wie die Stadt, so sind auch die Berufsdynastien - der hiesige Goldschmied senkt den Kopf und biegt mit ruhiger Hand Goldfäden und ritzt Muster, die das Auge kaum erkennen kann. Er formt mit winzigen Instrumenten Schmuckstücke, die aussehen, als seien sie geklöppelt, denn so hat es ihm sein Vater beigebracht, der es davor von seinem Vater gelernt hatte, und so immer weiter zurück - 13 Generationen, seit dem Jahr 1509.

Auch sein Sohn wird beizeiten den Kopf genauso beugen. Und die alten Frauen werden auch weiterhin in ihren Trachten herumlaufen, sich bunte Stoffzöpfe um die Köpfe schlingen, Spitzen um den Hals legen, ihre Brüste zu einem einzigen spitzen Horn unter dem Mieder zusammenschnüren und ihre sieben Kilo schweren Baumwollröcke mit langsamen Schritten über die Piazza tragen.

Aber - die Uhren sind in Scanno nicht stehen geblieben. Im Gegenteil: Zwei Kirchen verkünden jede Viertelstunde mit trockenen Schlägen die verstreichende Zeit. Das eine Glockenspiel hat immer fünf Minuten Vorsprung vor dem anderen. So ist im Dorf ständiges Geläut. Vermutlich wird eines Tages eher die eine Glocke die andere einholen, als daß das moderne Leben Scanno erreichen wird.
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